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10.04.2003, Plenarrede zur Ausbildungssituation

"Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Die hier gezeigte Hilflosigkeit der Landesregierung ist erschreckend. Seit Jahren ist bekannt, dass jedes Jahr im Sommer ein neuer Jahrgang an Schulabgängern eine Ausbildungsstelle sucht. Das ist keine neue Erkenntnis. Seit Jahren steht das Thema "fehlende" Ausbildungsplätze bei uns im Landtag und draußen im Lande auf der Tagesordnung. Viele Jugendliche werden zunächst einmal zu einer Ehrenrunde in die Schule geschickt, damit sie wieder vom Arbeitsmarkt wegkommen.
Herr Minister Schartau, in einem gestern veröffentlichten Interview sagen Sie richtigerweise, dass die Ausbildungsbereitschaft nicht nur mit der Werbetrommel geweckt werden kann. Es müssen die Rahmenbedingungen verändert werden.
Warum kommt diese Erkenntnis erst jetzt? Die Probleme sind doch schon lange bekannt. Sie sind nicht neu, auch wenn der Kollege Vöge hier versuchte, diesen Eindruck zu erwecken.
Ich nenne einige Hemmnisse: Seit Jahren beschweren sich die Handwerker und die ausbildenden Betriebe über ein zu geringes Bildungsniveau der Jugendlichen und deren Schwierigkeiten sogar beim Lösen einfachster Rechenaufgaben. Früher wurde das immer als Wichtigtuerei der Handwerker und der Betriebe abgetan. Erst PISA hat offenbart, wie Recht die Ausbildungsbetriebe haben. Ein Ausbildungsbetrieb hat nicht die Möglichkeit, das, was in zehn Jahren Schulzeit versäumt wurde, aufzuarbeiten.
Aber bisher hat sich noch nichts geändert. Nicht später berufsbegleitend oder vorbereitend mit einem extra Jahr sollte der Eintritt in das Berufsleben gesichert sein, sondern bei Beendigung der Schule müssen die Jugendlichen ein Niveau aufweisen, dass sie ausbildungsfähig sein lässt.
Das Hauptproblem ist die schlechte Wirtschaftspolitik in Deutschland und besonders in Nordrhein-Westfalen. Firmen, die es durch Insolvenz nicht mehr gibt, oder Unternehmen, die Personal abbauen, sind wirtschaftlich und organisatorisch nicht mehr in der Lage, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Einem Unternehmer, der am Monatsende Schwierigkeiten hat, die Löhne und Gehälter zu zahlen, der finanziell aus dem letzten Loch pfeift, ist schwer beizubringen, dass er einen neuen Ausbildungsplatz zur Verfügung stellen soll. Er wird keinen neuen Auszubildenden einstellen, um die anderen Arbeitsplätze nicht zu gefährden, denn ein Ausbildungsplatz ist heute ein Kostenfaktor.
Eine engagierte Unternehmerin aus meiner Heimatstadt mit 75 Mitarbeitern, die - was überaus positiv anzumerken ist -, zusätzlich zehn Auszubildenden einen Ausbildungsplatz gibt, hat für den Metall- und Elektrobereich einmal die Kosten aufgelistet: Die Anforderungen an die Fachtheorie sind in den letzten Jahren immer weiter gestiegen und stehen in einem krassen Gegensatz zu dem Wissen, welches die Auszubildenden heute mitbringen. Konsequenz daraus: Die Unternehmen müssen eine intensive zusätzliche, meist überbetriebliche Ausbildung sicherstellen, damit der Auszubildende überhaupt Aussicht auf eine erfolgreiche Ausbildung hat. Allein die Kosten für die Ausbildungshilfe und die überbetriebliche Förderung betragen in diesen dreieinhalb Jahren 46.000 € pro Auszubildenden. Die Personalkosten für die Betreuung und die Unterweisung im Betrieb sind dabei noch gar nicht mitgerechnet.
Berechtigterweise stellt diese Unternehmerin die Frage, warum ein Azubi in diesem Bereich 600 € pro Monat und im letzten Ausbildungsjahr sogar 780 € pro Monat erhalten muss. Ein gleichaltriger Gymnasiast bekommt nichts. In guten Zeiten nimmt man das hin, in schlechten Zeiten ist das ein Faktor, der durchaus dazu führt, dass Ausbildungsplätze gestrichen werden. Natürlich ist bekannt, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber als Tarifparteien dieses vereinbaren. Aber was ist die Folge davon? In privaten Gesprächen sagen Ihnen die entsprechenden Unternehmer: Was sollen wir uns mit der Gewerkschaft anlegen? Lass sie doch erhöhen; dann streichen wir einen Ausbildungsplatz. Das ist die Folge, und das kann nicht richtig sein.
Herr Schartau, ich würde mir wünschen, dass Sie Ihren Einfluss auf die Gewerkschaften auch in dem Bereich nutzen, um eine entsprechende Kostenreduzierung dort vornehmen zu können.
Nun ist es nicht so, dass das Land nicht an bestimmten Punkten direkt aktiv werden kann. Die Städte und Gemeinden unseres Landes haben in der Vergangenheit aus Verantwortung unseren Jugendlichen gegenüber über den Eigenbedarf hinaus ausgebildet. Unsere Städte und Gemeinden aber sind inzwischen pleite; viele unterliegen der vorläufigen Haushaltsführung oder müssen Haushaltssicherungskonzepte aufstellen. Bei den Haushaltsgesprächen wird der Eindruck erweckt, sie dürften aufgrund dieser Gegebenheiten nicht über den Bedarf hinaus ausbilden. Ich bitte den Herrn Innenminister um die Erklärung, dass diese auf der unteren Ebene gängige Interpretation falsch ist, damit hier nicht noch zusätzliche Ausbildungsplätze verloren gehen. Herr Schartau, Sie haben Veränderungen in der Berufsausbildung angekündigt: Aussetzung der Ausbildungsqualifizierung für fünf Jahre. Wenn sie für fünf Jahre ausgesetzt werden kann, warum dann nicht für immer? Entbürokratisierung! Was für fünf Jahre gelten kann, kann auch für längere Zeit gelten.
Die Anforderungen in den verschiedenen Berufen verändern sich deutlich unterschiedlich. Viele sind nach wie vor handwerklich geprägt, bei anderen liegt der Schwerpunkt mittlerweile auf theoretischen Kenntnissen. Hier gilt es, entsprechend zu fördern und weiterzuentwickeln. Ihr Modulsystem wird von uns mitgetragen. Wir sind aber auch der Meinung, dass es noch nicht weit genug geht, sondern dass in der Ausbildung noch mehr differenziert werden muss, beispielsweise hin zu einer höheren theoretischen Ausbildung in den Berufen, wo es erforderlich ist. Auf diese unterschiedliche Entwicklung der Berufe muss reagiert werden. Wir sind bereit, bei der Optimierung der Berufsausbildung mitzuarbeiten. Im Interesse unserer Jugendlichen darf es nicht sein, dass es wie in den vergangenen Jahren bei den Ankündigungen der Landesregierung bleibt nach dem Motto: Es ist gut, dass wir mal darüber geredet haben! - Und im nächsten Jahr stehen wir vor demselben Dilemma. Packen wir es also an!"